Brauch ich eine dickere Haut?

Wer legt fest, was Selbstständigkeit bedeutet?

Was bedeutet der Begriff Selbständigkeit für dich? Für die meisten bedeutet er: „Ich bin in der Lage, all meine alltäglichen Herausforderungen selbst zu meistern.“ Für mich und andere Menschen mit Behinderung ist es sehr wichtig, diesen Begriff individuell zu definieren: Über das Leben selbst zu bestimmen, anstatt vom Leben bestimmt zu werden heißt naturgemäß für jede und jeden von uns etwas anderes. Keine Behinderung ist wie die andere. Selbst wenn man dieselbe Diagnose wie jemand anderer har, birgt jede vergleichende (Selbst-)Bewertung die Gefahr, dass man sich mental damit schwächt. Denn es wird immer jemanden geben, der etwas besser kann. Vielleicht, weil sie oder er sich länger, intensiver damit beschäftigt haben, bestimmte Kompetenzen zu entwickeln, andere persönliche Voraussetzungen mitbringen oder aus anderen Gründen. Selbständigkeit ist kein sportlicher Wettbewerb. Das wichtigste ist, dem eigenen Weg treu zu bleiben.
Das ist mein Stichwort, um jetzt, nachdem sich die Aufregung wieder gelegt hat, auf das Thema einzugehen, mit dem ich vergangene Woche unfreiwillig in die Medien gelangt bin.

„In der Politik wirst du eine dicke Haut brauchen, Kira.“
Wie oft ich diesen Satz gehört habe, seit ich mich dazu entschieden habe, das Angebot von Sebastian Kurz anzunehmen, mich auch in der Politik für Menschen mit Behinderung zu engagieren. Das war Ende Juli, gerade einmal vor vier Monaten.
Brauche ich wirklich eine dickere Haut? Will ich eine? Seit ich als Politikerin wahrgenommen werde (seit dem Tag, an dem meine Kandidatur öffentlich wurde), kriege ich laufend Gelegenheiten, mir diese Frage immer wieder neu zu stellen. Letzte Woche hatte die öffentliche Schleudertrommel eine besonders hohe Umdrehungszahl. Wegen eines Autos, das mir, auch auf Mit-Initiative des damaligen Sportministers Gerald Klug, nach meinem Unfall 2015 geschenkt worden war. Ich denke, da ging es gar nicht so sehr um das Auto selbst damals, als vielmehr um eine Symbolik: Es war als Signal und Motivation gedacht, mich nach meinem Trainingsunfall trotz Querschnittslähmung nicht aufzugeben, dran zu bleiben, mich der Herausforderung zu stellen, um wieder so selbständig wie möglich zu werden. Und, vielleicht, auf diese Weise Vorbild für viele andere sein zu können...

„Was hast du dir dabei gedacht, Kira, den Opel anzunehmen?
Wie oft habe ich diese Frage gehört, in den vergangenen Tagen. Ehrliche Antwort (die natürlich, wenn sich die Schleudertrommel einmal dreht, keiner mehr hört oder hören will )-: Als ich damals erfuhr, dass wir das Auto geschenkt kriegen, hatte ich Tränen in den Augen. Nicht, weil meine Familie kein Auto gehabt hätte, sondern weil mir diese menschliche, optimistische Geste Kraft gegeben hat. Es war ein Symbol für meine Mobilität in der Zukunft: ´Kira, es kommt wieder eine Zeit, da wirst du unterwegs sein und am Leben ganz normal teilnehmen können.´“
Das war, was damals bei mir angekommen ist. Deshalb habe ich dieses Auto damals in großer Dankbarkeit angenommen, nur abgeholt habe ich es erst jetzt (seinerzeit konnte ich das nicht). Was habe ich mir also bloß dabei gedacht, jetzt diesen Übernahme-Termin zu machen? Ich habe mir gedacht: Das ist das Mindeste, das Geschenk von damals persönlich entgegenzunehmen, um mich für die Geste zu bedanken. Das bin ich allen, die in dieser für mich so schwierigen Phase dieses Zeichen gesetzt und ihr Versprechen auch eingehalten haben, einfach schuldig. Das habe ich mir dabei gedacht. Den erst freien, privaten Termin habe ich dafür verwendet, weil ich mich als Privatperson bedanken wollte. Sonst habe ich mir nichts dabei gedacht.

Kira, Du bist jetzt Politikerin: Das hättest du doch wissen müssen . . .
Dass sich die Auslieferung so lange verzögert hat, hatte mit einer Modellumstellung zu tun. Hätte ich gewusst oder geahnt, dass so eine öffentliche Diskussion entstehen kann, hätte ich es anders gemacht, glaubt mir. Das 2015 geschenkte Auto doch nicht angenommen, es geleast oder gekauft oder gleich weitergeschenkt – jedenfalls anders. Klingt, denke ich, nach all der Kritik, die auf mich eingeprasselt ist, plausibel. Den Vorwurf der Blauäugigkeit muss ich mir wahrscheinlich gefallen lassen, jener der Unredlichkeit führt sich durch den Umstand ad absurdum, dass die Geschenk-Übergabe ein Medientermin samt Presseaussendung war.
Übrigens: Ich habe auch noch zwei Gutscheine für Bekleidung und für ein Wochenende im Hotel, die ich vor zwei Jahren geschenkt bekommen habe. Die werde ich wohl sicherheitshalber lieber auch nicht selber einlösen – habe ich schon zwei Weihnachtsgeschenke ;-)

Ich bin ein vollkommener Rookie in der Politik, eines habe ich schon rausgefunden: Wenn die öffentliche Schleudertrommel einmal schleudert, dann schleudert sie. Dann ist für noch so logische Erklärungen weder Raum noch Zeit, mal abgesehen davon, dass die meistens auch weit nicht so aufregend sind, wie die Aufreger.
Parallel zur öffentliche Diskussion via Medien läuft – in der Form auch erst, seit ich als Politikerin gesehen werde – auch via Mail oder Facebook sehr viel. Viel Bestärkung und positiver Zuspruch und teilweise auch ziemlich Herabwürdigendes (die O-Töne erspare ich euch), wo eine dickere Haut tatsächlich überlegenswert wäre. Da geht´s dann vielleicht oft gar nicht immer so sehr um mich persönlich, sondern um „die Politiker“ als Feindbild – auf die, zurecht oder zu Unrecht – viel Frust, Wut und Verzweiflung projiziert wird.
Das ist für mich neu und sehr gewöhnungsbedürftig. Aber es hat auch etwas Positives: Immerhin werde ich nicht anders, mitleidiger oder behutsamer behandelt, als Kolleginnen und Kollegen ohne Behinderung, sondern gleich. So betrachtet ist es auch ein Entwicklungsschritt in die richtige Richtung. Irgendwie.

Brauche ich jetzt wirklich eine dickere Haut? Und: Will ich eine?
Nein! Ich kann meinen Körper nicht mehr so spüren wie früher, stimmt. Aber darüber hinaus unverletzlicher, unsensibler zu werden, das ist definitiv kein Ziel! Ich bin neu in der Politik und ganz frisch im Parlament. Es gibt vieles, das ich nicht weiß, vieles, das mich noch etwas überfordert, eben weil alles neu ist, vieles, das ich noch lernen muss, will und werde. Ich will nicht so tun, als würden mir solche Situationen, die Angriffe und Untergriffe nicht nahegehen. Ich bin kein sogenannter Polit-Profi, der nichts an sich heranlässt und an dem alles abperlt.
ABER: Ich bin mit einer klaren Mission angetreten. Gerade weil ich weiß, dass nicht viele so großes Glück hatten und haben, mit einer Behinderung so aufgefangen, so unterstützt zu werden, wie ich, gerade deshalb will ich mit allem, was in meiner Kraft steht, mithelfen, dass sich die Bedingungen für Menschen mit Behinderung in Österreich verbessern. Dieses Ziel darf und will ich nicht aus den Augen verlieren. Dafür bin ich bereit, nötigenfalls auch meinen Rücken hinzuhalten, auch wenn der nicht besonders breit ist. Ich bin jung, ich habe schon so manches ausgehalten, ich halte auch Kritik aus und erst recht, wenn sie berechtigt ist.
Mein neuer Arbeitsplatz im Nationalrat ist für mich eine große Ehre, ein großer Vertrauensbeweis und eine große Verantwortung. Eines werde ich trotzdem nicht tun: Ich werde mich nicht verbiegen oder mir selbst untreu werden. Ich werde die Kira Grünberg bleiben, auch wenn ich jetzt Politikerin und Abgeordnete zum Nationalrat bin. Ich werde Fehler machen, ich werde sie einbekennen, dazu stehen und daraus lernen. Diese Voraussetzung muss gegeben sein. Für mich und jeden, der den Wunsch hat, in unserem Land etwas zum Besseren zu verändern.
In diesem Sinne: Danke für eure Unterstützung und Bestärkung & bis bald,
Eure Kira :-)

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